Montag, 4. Januar 2016

Der Markt machts?

In den 1980er und frühen 1990er schien - zumindest in den Köpfen der damals Regierenden - alles so einfach zu sein. Der Ostblock war dabei zusammenzubrechen, der real existierende Sozialismus funktionierte schon lange nicht mehr, hatte sich weit von allen sozialen Utopien, die von seinen Gründern versprochen worden waren, entfernt und existierte nur noch auf dem Papier.
Scheinbar war ein für alle mal bewiesen, dass die Verteilung von Gütern nach dem Marktwirtschaftlichen Prinzip in der Praxis jedem System überlegen ist, in dem der Staat in die Verteilung von Gütern eingreift. 
Der Kapitalismus war Sieger geblieben und sollte sich nun nehmen, was er erobert hatte. Die Welt: Die Globalisierung begann!
Und so rollte eine Welle, der Deregulierung, der Privatisierung und des staatlichen Rückzuges aus der Wirtschaft, über die Welt hinweg. 
Die Idee war einfach: Durch den weltweiten Austausch von Ressourcen und Gütern nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip, der dank Wegfallen der Blockgrenzen nun möglich war; durch den gesunden und fairen Wettkampf von Akteuren auf der ganzen Welt, der von den einzelnen Nationalstaaten möglichst wenig behindert und besteuert werden sollte, sollten sich Wohlstand und Demokratie überall auf der Welt verbreiten.

Schön wärs. Der entfesselte, gnadenlose Wettkampf, der von Anfang unmöglich fair sein konnte, erzeugte, wie jeder Wettkampf, Verlierer und Gewinner, nur dass von vorne herein feststand wer Verlierer und wer Gewinner sein würde. 
Die Chancen waren so ungleich, wie sie nur sein konnten, war doch das Kapital, in Folge des wirtschaftlichen Untergangs der sozialistischen Staaten im Osten, in den westlichen Industrienationen konzentriert, die sich dazu hin noch, in langen Kriegen, die Kontrolle über einen großen Teil der weltweit geförderten Rohstoffe gesichert hatten und immer noch sicherten. 
Doch nicht nur der Wettbewerb des Konzerne, sondern auch die Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmern baute auf ungleichen Vorraussetzungen auf. Vor allem im Niedriglohnsektor konnten ungelernte Arbeiter in der ersten Welt, aufgrund der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten, unmöglich mit ihren Konkurrenten in Asien mithalten. 

Die Großkonzerne aus der ersten Welt, die über das bei weitem höchste Startkapital, die, in schmutzigen Kriegen erworbene, Kontrolle über den größten Teil der weltweit verfügbaren Ressourcen und Rückhalt in den mächtigsten Nation der Welt verfügten, konnten sich spielerisch leicht als mächtigste Akteure auf dem neugeschaffenen globalen Markt durchsetzen. 
Sie zwangen die Arbeiter Asiens in eine Lohnsklaverei, die wohl noch schlimmer ist, als sie zu Hochzeiten der Industrialisierung in Europa und den USA war, was diese jedoch aufgrund des dadurch leicht gestiegenen Lebensstandard ohne Widerspruch hinnahmen, und ließen im Gegenzug die nicht konkurrenzfähigen Arbeiter in der ersten Welt unter den Tisch fallen. Bald mussten auch kleinere Unternehmen, vor allem in Afrika, den neuen international agierenden Alpha-Wölfen Platz machen. 
Anstatt dass, wie geplant, Menschen überall auf der Erde der neuen Macht des globalen Markts profitierten, profitierten lediglich lokale Strohmänner und die Aktionäre der westlichen Großkonzerne, die schon vorher reich gewesen waren. 

Infolge dessen wurde der Unterschied zwischen den Reichen und Armen weltweit immer größer und nimmt heute astronomische Ausmaße an, während die Mitte zwischen den beiden Polen immer kleiner wird. 
Heute stehen neben den einigen wenigen Gewinnern Milliarden von Verlieren, die der Verelendung Preisgegeben sind. Dieses Elend beschränkt sich nicht nur auf die stets Benachteiligten Gebiete der zweiten und dritten Welt, sondern betrifft, freilich in kleinerem Ausmaß, mehr und mehr auch uns in der ersten Welt. 
Viele, vor allem Ungelernte und Menschen mit geringer Ausbildung, konnten mit der Konkurrenz der billigen, ausgebeuteten Arbeitern in Asien nicht mehr mithalten und verloren damit nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihren Stolz. Sie sind nun keine Mitglieder der weltweiten Leistungsgesellschaft, sondern abgehängte Globalisierungsverlierer.
Und da die Nationalstaaten im Zuge der Liberalisierungspolitik, die Steuern und Abgaben der Konzerne gesenkt haben, haben sie heute nicht mehr die Mittel diesen Menschen ohne finanzielle Not, die Sozialleistungen auszuzahlen, die vor Beginn der Globalisierung noch Standart waren. 
Staaten die das trotzdem versuchen, rutschen schnell in die Krise ab, wie man es an den Südeuropäischen Staaten sehen kann. 
Die wirtschaftsliberalen Nationalstaaten, auch Deutschland, stehen nun vor der Wahl, sie können dem  Elend nur auf zwei Weisen beikommen, wenn sie keinen Abzug von Kapital aus ihrem Staat riskieren wollen, sie können entweder die Sozialleistungen für diejenigen, die dem Konkurrenzkampf bereits erlegen sind, senken, oder die Steuern für diejenigen, die geradeso noch mithalten können, erhöhen. 
Beides schafft Sozialneid und soziale Unsicherheit, die sich letztlich in Verzweiflung und irrationale Wut auf völlig unschuldige andere Opfer, entladen, wie man bei Pegida und ähnlichen Veranstaltungen beobachten kann. 
Dort wenden sich die Verzweifelten einer Ideologie zu, die ein Gemisch aus Sowjetischen und Nationalsozialistischen Vorstellung ist, und suchen den Grund ihres Elend, da sie die großen Zusammenhänge nicht verstehen, in versponnen Verschwörungstheorien.


Die Politiker und Ökonomen der 80er und 90er, deren Vorstellungen auch heute noch von vielen liberalen und konservativen Politikern geteilt werden, haben sich geirrt. Sie werden die Dämonen die sie riefen, nun nicht mehr los. Der einzige Weg um ihre Fehler wieder gut zu machen, ist eine neue soziale Politik, in der man dem Staat als Überbau der Gesellschaft wieder zutraut, die Marktwirtschaft zu kontrollieren und im Zaum zu halten. 

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Flüchtlinge: Eine gute Regierung und die Flüchtlingsfrage

Das erste Argument eines typischen „besorgten Bürger“, der einen davon überzeugen will, dass Deutschland beziehungsweise Europa nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen sollte, ist, dass es mit der Zahl der Flüchtlinge die schon hier sind, komplett überfordert sei. Um das zu untermauern entwirft er ein Horrorszenario, in dem sich mehrere Millionen Ausländer auf Kosten des Staates in Deutschland einnisten, die angeblich knappen Ressourcen aussaugen und die deutsche Kultur vernichten. 
Dieses Argument ist offensichtlich falsch. Die europäischen Staaten befinden sich noch lange nicht an den Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit.  Noch immer tragen einige wenige Staaten die Hauptlast der Flüchtlingskrise, während sich andere weigern sich aktiv an der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge zu beteiligen. Und selbst in Deutschland, das unzweifelhaft zu den Ländern gehört, die ein überdurchschnittliches Engagement für die Flüchtlinge zeigen, werden die Kosten der Flüchtlingskrise immer noch aus den begrenzten Mitteln der Kommunen und Länder gedeckt, der Bund, der derzeit mit den höchsten Steuereinnahmen seit Jahren rechnen kann und jährlich immer höhere Steuerüberschüsse einstreicht, beteiligt sich immer noch nur mit lumpigen drei Milliarden Euro. Sprich, nicht Deutschland oder Europa stößt so langsam an die Grenzen seiner Belastbarkeit, sondern die Länder und Kommunen, die mit den Kosten der Krise weitestgehend allein gelassen werden. Die Antwort darauf sollte keineswegs eine Abschottungspolitik sein, sondern eher eine verstärkte Beteiligung des Bundes und eine größere Solidarität zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten. 
Und auch die Ängste vor den kulturellen Belastungen durch die Flüchtlinge sind zu einem großen Teil aus irrationalen Vorurteilen gegenüber den Fremden gespeist. Davon einmal abgesehen, ist es in Deutschland schon öfter als einmal gelungen große Zahlen an Neuankömmlinge in die Gesellschaft zu integrieren. Man denke nur an die tausenden Vertriebenen nach dem zweiten Weltkrieg, die Flüchtlinge aus der DDR und die 2 Millionen Gastarbeiter, die in den sechziger Jahren zu uns kamen. Sie alle kamen aus unterschiedlichen Kulturen und sie alle stellten eine Bereicherung für die deutsche Kultur dar. Außerdem werden ja nicht alle Flüchtlinge bleiben, zahlreiche kommen nicht aus den Bürgerkriegsstaaten im Nahen Osten, sondern aus dem Balkan und haben daher kein Recht auf Asyl in Deutschland. Und selbst von den Syrern, die gute Chancen haben als Asylberechtigte anerkannt zu werden, wollen laut Studien nur 8% auf Dauer in Deutschland bleiben. Die Übrigen planen, sobald es die politische Lage in ihrem Heimatland zulässt, wieder heim zu kehren. 
Niemand kann oder will bestreiten, dass die Integration der Flüchtlinge, die sich tatsächlich als Zuwanderer entpuppen, kompliziert werden kann und dabei einige Probleme auftreten werden, aber ein Ding der Unmöglichkeit ist es nicht. 

Wenn der „besorgte Bürger“ dies erkannt hat, wird er als nächstes Anführen, dass, auch wenn es für Deutschland und Europa nicht unmöglich sei mehr Flüchtlinge aufzunehmen, keine Verpflichtung besteht die Flüchtlinge willkommen zu heißen. Er wird behaupten, dass sich eine gute deutsche Regierung zu erst um die Deutschen kümmern sollte und wird zahlreiche soziale Probleme in Deutschland aufzählen, die seiner Meinung nach wichtiger sind, als das Retten von Menschenleben, womit er quasi den alten Slogan der NPD „Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma“ aufgreift. 
Doch, einmal ganz davon abgesehen, dass wir sehr wohl eine moralische Pflicht haben, Menschen in Lebensgefahr aufzunehmen, hat er hier noch einmal Unrecht. Denn gerade das sie Menschen in Not, egal woher sie kommen und von wem sie abstammen, hilft, zeichnet eine gute Regierung aus. Wenn man sich überlegt, warum das so ist, muss man sich erst einmal klar werden, was eine gute Regierung ausmacht. Die Väter der Amerikanischen Verfasser hatten darauf eine klare Antwort: Eine gute Regierung ist eine Regierung die die Rechte der Menschen, die sich in ihrem Einflussgebiet gewährleistet. Und nach internationalem, supranationalem und nationalem Recht hat jeder Mensch auf der Welt das grundlegende Recht auf Leben in Würde. Würde unsere Regierung nun also die Menschen die mit der Absicht ihr Leben zu retten, nach Deutschland kommen, abweisen, sie zurückschicken und damit nicht verhindern, dass ihnen, dort wo sie herkommen, das Leben genommen werden könnte, würde sie dieses Grundrecht, aus dem sich alle anderen Rechte ableiten, missachten. 


Wollen wir eine Regierung die die Rechte von Menschen missachtet, obwohl es für sie möglich wäre, diese Rechte zu gewährleisten? Doch wohl er nicht. Wir wollen den Rechtsstaat erhalten. Und daher sollten wir uns auch nicht dagegen sträuben weitere Flüchtlinge aufzunehmen, auch wenn es dauerhaft natürlich sinnvoller ist, die Wurzeln der Probleme, vor denen die Menschen fliehen, zu beseitigen. 

Dienstag, 13. Oktober 2015

Wirtschaft: Ein Gespenst geht um....

Ein Gespenst geht um auf der Welt - das Gespenst der Privatisierung. 

Wann immer Staaten lästige Dienstleistungen, die sie ihren Bürgern in der Vergangenheit angeboten haben, loswerden wollen, ohne sie wirklich abzuschaffen, oder einfach mal wieder einen Schwung neues Geld in die Staatskasse brauchen, greifen sie zu einem altbewehrten Verfahren, das wohl zu den Umstrittensten weltweit gehört. Die Rede ist von der Privatisierung von Staatseigentum, beziehungsweise dem outsourcen von staatlichen Leistungen an private, gewinnorientierte Unternehmen. 
Das diese Praxis gerade in heutigen Zeiten aktuell ist, zeigen die Pläne der italienischen Regierung, die italienische Post zu privatisieren und auch die Flugsicherung Enav und das Bahnunternehmen FS sollen zumindest teilweise veräußert werden. Nach den Plänen der internationalen Geldgeber soll ähnliches in Griechenland in einem weit größeren Ausmaß passieren. Davon erhoffen sich die verantwortlichen Regierungen erhebliche Geldmittel zum Schuldenabbau in den beiden immer noch hoch verschuldeten Staaten. Doch nicht nur in den krisengebeutelten südeuropäischen Staaten, sondern auch hier in Deutschland spielen nicht wenige Politiker, trotz zahlreicher Proteste der Verbraucher, mit dem Gedanken Leistungen wie die Müllentsorgung, die Betreibung von Freizeitanlagen oder die Wasserversorgung, die heute in den meisten Regionen Deutschlands in den Händen der Kommunen liegen, in die Verantwortung privater Unternehme zu legen. 

Manche Befürworter dieser Maßnahmen, sehen eine Verschlankung des Staates als erstrebenswertes Ziel. Ihrer Meinung nach stehen staatliche Monopole, wie es sie in Deutschland früher beim Schienenverkehr und heute noch beim Straßennetz gibt, der Entfaltung des freien Marktes, den sie für das beste Instrument zur Festlegung von Preisen halten, im Weg. Könnten sich die Preise nach Angebot und Nachfrage bilden, wären sie, der Ansicht dieser Privatisierungsbefürwortern nach, fairer und würden besser den tatsächlichen Wert der Leistung darstellen. Dafür dass sie für Dienste, die früher kostenlos waren beziehungsweise zu sehr niedrigen Preisen zu erhalten waren, nun deutlich höhere Preise berappen müssten, würden die Bürger durch Steuererleichterungen entschädigt. Dieser Theorie folgend fordern einige Marktradikale sogar die Privatisierung von Dingen, die heutzutage selbstverständlich in den Händen des Staates liegen, wie dem Straßennetz, dem Bildungssystem oder den Sozialversicherungen.
Bei diesen Ausführungen übersehen diese Wirtschaftsliberalen aber zwei Dinge. Zum ersten scheinen sie auszublenden, dass bei der freien Preisbildung nach Angebot und Nachfrage Konkurrenz zwischen den Anbietern bestehen muss, damit sich ein gerechter Preis bilden kann. Auf dem Gebiet von vielen Leistungen, die der Staat anbietet, besteht ein staatliches Monopol. Würde dieses privatisiert, entstände dann logischerweise ein privates Monopol, bei dem er private Eigentümer, des Monopols, der sich natürlich nicht wie der Staat am Gemeinwohl, sondern an seinen Profitwünschen orientiert, die Preise frei festsetzen könnte. So hat der Staat beispielsweise ein Monopol auf das Straßennetz. Daher gibt es zwischen vielen Orten nur eine einzige schnelle Straßenverbindung. Würde das Straßennetz nun privatisiert und eine Person müsste von einem Ort in einen Anderen, wäre sie gezwungen dem neuen Besitzer der Straße zwischen den beiden Orten jeden Preis bezahlen, den er verlangt oder zu Hause zu bleiben. Die Folge wäre selbstverständlich, dass die Preise für die Straßenbenutzung in die Höhe schnellen würden. Der einzige Weg hier den freien Wettkampf zu sichern, wäre parallel zu jeder bestehenden Straße eine zweite zu Bauen, die dann an jemand anderes verkauft werden müsste. Wer die Geldmittel für diesen Umbau aufbringen soll, ist dann wiederum fraglich. Man sieht, gerechtere Preise werden durch Privatisierung nicht wahrscheinlicher, sondern vermutlich werden die Preise eher ungerechter.
Zum anderen ist es auch nicht korrekt, dass man die Bürger durch Steuererleichterungen für die neuen Preise entschädigen könnte. Dies liegt daran, dass Steuern in Deutschland abhängig vom Lohn sind. Würde man also die Steuern nach einer  Privatisierung um 1% senken, hätte ein Gutverdiener einen deutlich größeren Gewinn davon, als ein Geringverdiener, einfach deshalb weil ein 1% von seinem Lohn mehr sind als 1% vom Lohn des anderen. So könnte es sein, dass Geringverdiener nicht einmal um die Summe der neuen Preise entlastet werden, während Gutverdiener dann sogar deutlich mehr Geld zur Verfügung hätte. 

Des Weiteren muss beachtet werden, dass viele Sparten, in denen der Staat ein Monopol hat, nicht wirklich lukrativ sind, wenn man die Bürgerrechte, die im Grundgesetz verankert sind, achtet. So müsste auf einem privatisierten Straßennetz, jeder Mensch zu jeder Zeit überall hin kommen, wenn man das Grundrecht auf Mobilität nicht einschränken will, in einem privatisierten Schulsystem müsste jeder Schüler unabhängig von seiner finanziellen Lage die Schulform besuchen können, die seinen Leistungen entspricht, wenn man das Recht auf Bildung weiter achten will, und in einem privaten Sozialversicherungsrecht müsste jeder Bürger einen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen haben, die sich aus dem Recht auf Leben und der Würde des Menschen herleiten.
Um diese Sparten für private Investoren interessant zu machen, müsste der Staat also kräftige Subventionen in Aussicht stellen, die ihn langfristig mehr kosten könnten, als er durch die Privatisierung direkt verdient. 

Man sieht, Privatisierungen erfüllen nicht nur den Zweck, den sie der Ansicht ihrer Befürworter nach haben, nicht, sie bringen nicht zwingend gerechtere Preise mit sich, entlasten den Steuerzahler nicht wirklich und bringen in vielen Fällen nicht einmal einen dauerhaften Gewinn für die Staatskassen. Gleichzeitig bedrohen sie den Sozialstaat und können dazu führen, dass auf die Dauer Grundrechte der Bürger eingeschränkt werden.


Dieses Gespenst kann einen völlig zu Recht den Schlaf rauben.

Dienstag, 6. Oktober 2015

Demokratie: Von Demokratie, besorgten Bürgern, Putin und Bildung.

Die Welt der rechten Verschwörungstheoretiker, der selbsternannten besorgten Bürger und der Internet Hetzer ist eine scharf in Hell und dunkel unterteilte Welt. Doch natürlich ist die helle Seite wie stets heftigen Angriffen und schrecklichen Bedrohungen ausgesetzt. Zur Zeit sogar von mehreren Seiten. 

Da wäre zum einen die sogenannte Migrantenwaffe, die von den USA/Israel/Saudi Arabien/Freimaurern ausgelösten und gelenkten Flüchtlingsströme, die einzig und allein das Ziel haben, das kulturell haushoch überlegene Abendland durch Islamisierung zu instabilisieren und letztlich zu zerstören.
Des weiteren wären da die Kanzlerin, die linksgrünroten Gutmenschen und die multiethnische USA, denen die Flüchtlingsströme gerade recht kommen, da sie in ihrem Rückenwind die politische Korrektheit und die damit verbundene Abschaffung der christlichen Moralvorstellungen und perverse Versexualisierung der Gesellschaft, in der die Ehe auf einmal kein reines Zweckbündnis mit dem Ziel in kürzester Zeit möglichst viele Kinder zu produzieren zwischen einem Mann und einer Frau ist, sondern ein Lebensbund zwischen zwei Menschen die sich lieben, durchzusetzen. 
Und nicht zu vergessen TTIP und die damit verbundene, von Zeit zu Zeit auch jüdische, Hochfinanz, die den radikalen Räuberkapitalismus auch in Europa durchsetzen will und nicht einmal vor erfundenen Anschuldigungen und krassen Lügen zurückschrecken, um den alteingesessenen deutschen Mittelstandsunternehmen, wie VW, zu schaden. 
Die Bilanz aus all diesen absurden, aus gefestigten Vorurteilen entstandenem Ängsten ist klipp und klar: Europa schafft sich ab. Schuld daran sind die üblichen Schuldigen, die korrupten Politikeliten, die Lügenpresse, die geldgierige Hochfinanz, die muslimische Umma, die Gemeinschaft aller Muslime, die danach strebt die ganze Welt zu islamisieren und natürlich die machtsüchtige USA. 

Doch dieser verruchten Allianz aus westlicher Dekadenz, sturem Gutmenschentum und islamischen Terror steht natürlich ein strahlender Ritter der alten Werte und Ordnung gegenüber, der bereit ist auch mit brachialen Methoden die helle Seite zu verteidigen. Wladimir Putin, der Autokrat im Osten, der im Augenblick dabei ist, seine Macht im eigenen Land auszubauen und die letzten Reste Opposition zu beseitigen, wird mehr und mehr der neue Held der radikalen bürgerlichen Rechten in Deutschland. 

Diese Begeisterung zeigt, warum die irrationalen Ängste und radikale politische Einstellung dieser rechten Putin-Versteher für die demokratische Grundordnung darstellen. Die sture Unterteilung des politischen Spektrums in gut und schlecht, ohne rationale Überlegungen über Motivation und Ziele politischer Personen und Gruppen, legt stets den Verdacht nahe, dass Entscheidungsträger oder Volksvertreter, die nicht in allen Punkten der eigenen Überzeugung entsprechen handelt, von der dunklen Seite gekauft wäre. Außerdem verhindert sie, dass Kompromisse, ohne die keine Demokratie möglich wäre, nachvollzogen werden können. 
So werden aus Politikern, die noch andere Interessen als die dieser Rechten beachten und vertreten müssen, ganz schnell zu Volksverrätern, alle Menschen, die nicht die Meinung dieser besorgten Bürger teilen, zu dummen linksgrünroten Gutmenschen und alle globalen Problemen werden ohne langes Nachdenken auf das angebliche Agitieren bestimmter Gruppen zurückgeführt, ohne ihre Multifaktorialität anzuerkennen. 

Und da die parlamentarische Demokratie mit dieser auf undifferenzierten Schuldzuweisungen und politischem Schwarz-Weiß-Denken beruhenden Kompromissunfähigkeit nicht vereinbar ist, favorisieren die Anhänger solcher Denkweisen zumindest insgeheim eine autokratische Herrschaftsform, in der der Führer nur die selbst formulierten „Volksinteressen“ ohne Rücksicht auf Minderheiten oder Interessen anderer Staaten durchsetzt. 
Dieses antidemokratisches, reaktionäres Denken äußert sich dann in der Begeisterung für osteuropäische Autokraten, wie Wladimir Putin oder Viktor Orban, denen unterstellt wird genau solche Führer zu sein. 

Man sieht, die primitive politische Grundhaltung, die den Ängsten und Forderungen dieser „besorgten Bürger“ und neuen Rechten zugrunde liegt, ist eine Bedrohung für das demokratische System, da sie weder Kompromisse noch andere politische Meinungen anerkennt. Daher ist es der absolut falsche Weg auf diese Ängste und Forderungen einzugehen oder sie gar aus Machtbestreben zu instrumentalisieren. Man kann den Vertreter solcher Meinungen in einer Diskussion mit rationalen Argument nicht klar machen, dass sie falsch liegen, da diese Option in ihrer Weltanschauung nicht vorgesehen ist. 


Wer Ängste beruhigen und Forderungen durch rationale Argumentationen zum Schweigen bringen will, der bekämpft nur die Symptome des Problems. Wer das eigentliche Problem lösen will, muss sich überlegen, wie man das indifferente Schwarz-Weiß-Denken bekämpfen kann. Und darauf gibt es nur eine halbwegs vernünftige Antwort: Bildung.

Dienstag, 29. September 2015

Gesellschaft: Was der VW Skandal über uns Konsumenten aussagt.

Zurzeit hat es den Anschein, dass die Flüchtlingskrise und ihre Folgen von ihrem Platz als meist beachtetes und am heftigsten umstrittenstes politisches Thema von einem neuen Konkurrent verstoßen werden könnte. Dem VW-Skandal. Das ist natürlich auch nicht sonderlich verwunderlich, bei diesem geht es schließlich um deutsche Autos , das Lieblingsthema eines jeden Deutschen, und bei der Flüchtlingskrise nun ja nur um Menschenleben. 
Und da dieser schreckliche Skandal nicht nur ein sondern gleich zwei Themen betrifft, die von den Deutschen gerne lang und breit diskutiert werden und bei denen man sich in Deutschland naturgemäß als weltweiter Spitzenreiter sieht, nämlich Innovation und Umweltschutz, ist die Diskussion natürlich auch entsprechend heftig. Zahlreiche, sich wiedersprechende Reaktionen und Meinungen, von sprachlosen Entsetzen, bis zu Verschwörungstheorien, in denen ein Komplott der Naturschutzorganisationen, amerikanischen Autoherstellung und allen beteiligten Regierungen gewittert wird, der zum Ziel hat, die angeblich verhassten, weil vorbildlichen, deutschen Autokonzerne in Misskredit zu bringen, und dem obligatorischen „Hab ichs doch schon immer gewusst“, haben sich sofort gefestigt und keiner will von seinem ersten Eindruck wieder abweichen, wie es in einer breiten gesellschaftlichen Debatte in Deutschland eben üblich ist. 

Doch unabhängig von dieser ebenso aggressiv geführten, wie meist redundanten Debatte, die aus einem der irrationalen Gründe die es so gibt, nämlich dem Nationalstolz, der in Deutschland Autokonzerne nun mal einschließt, emotional sehr aufgeheizt ist, sollte sich jeder einmal klar machen, was dieser Skandal über unsere momentane Art und Weise wie wir in dieser Gesellschaft mit wichtigen Problemen umgehen aussagt.

Auf den ersten Blick erst einmal wenig bis gar nichts. Der VW Konzern und seine Tochterfirmen haben bei ihren Autos, die mit Diesel anstatt mit Benzin betrieben werden, eine Software eingebaut, die bewirkt, dass die messbare Menge an ausgestoßenen Abgasen bei Tests deutlich geringer ausfielen als sie im alltäglichen Verkehr dann wirklich sind. Durch diesen klaren Betrug, war VW in der Lage seine Dieselautos als besonders Umweltfreundlich zu verkaufen, was ihnen in einigen Ländern Subventionen einbrachte und sich natürlich auch in der Werbung gut machte. Generell sind Lügen in der Werbung ja nicht selten und auch wenn hier ein besonders krasser Fall vorliegt, bei dem Gesetze in eklatantem Ausmaß gebrochen wurde, so ist die Nachricht, dass es ein großer Konzern mit den Gesetzen nicht so genau nimmt heutzutage doch keine Schlagzeile mehr wert. Diese entstehen nur wegen der mit dem Skandal einhergehenden Verletzung des deutschen Nationalstolz. 

Doch von diesem ganz abgesehen, könnte man sich einmal fragen, was es für VW so verlockend machte das Gesetz zu brechen und wieso wir, als sonst so kritische Verbraucher, ihre Lügen einfach unkritisch hingenommen haben. Dabei ist die Schlussfolgerung, dass ein Auto, dass ähnlich schnell fährt, eine gleich große Reichweite hat und sich nur in dem einen Punkt von anderen Autos, nämlich dass es statt mit dem üblichen Benzin mit dem LKW-Treibstoff Diesel versetzt mit ominösen Harnstoffeinspritzungen angetrieben wird, unterscheidet, nicht wirklich drastisch umweltfreundlicher sein kann als ein Benziner, im Nachhinein nicht wirklich abwegig. Warum also haben wir diese dreiste und bei näherem Nachdenken unlogische Lüge geglaubt.

Ganz einfach, die Lüge hat uns, die Konsumenten in der „ersten Welt“,  aus einem wirklich schwerwiegenden Dilemma befreit. Auf der einen Seite wissen wir ganz genau, dass die fossilen Rohstoffen eines Tages zu neige gehen werden, wir durch die von herkömmlichen Verbrennungsmotoren ausgestoßenen Abgase der Natur langfristig irreparable Schäden zufügen und es inzwischen höchste Zeit wäre, auf alternative Antriebsformen umzusteigen. Doch leider schätzen wir die Vorteile, wie große Reichweite, hohes Tempo, zahlreiche Tankmöglichkeiten und so weiter, die die herkömmlichen Antriebsformen bieten und die alternativen Energien leider nicht, zu sehr, als dass wir uns dazu durchringen könnten der Umwelt zu liebe auf sie zu verzichten. 

Und genau dieses Dilemma ist typisch für die Art und Weise wie wir in den westlichen Industriestaaten mit wichtigen Problemen umgehen. Obwohl wir wissen, dass viele von ihnen unkompliziert durch Verzicht zu lösen wären, schaffen wir es nicht auf unsere heiß geliebten Privilegien zu verzichten. 
Natürlich finden wir Kinderarbeit und Ausbeutung schlecht, aber billige Klamotten wollen wir trotzdem haben. 
Natürlich wollen wir Lebensräume schützen, aber auf technische Geräte aus Rohstoffen aus dem Regenwald wollen wir nicht verzichten.
Natürlich sind wir gegen Tierquälerei, aber Fleisch aus Massentierhaltung ist so schön billig und schmeckt genauso gut wie das Öko-Fleisch. 
Wer von uns kann sagen, dass er darüber erhaben ist?

Und genau aus diesem Dilemma befreite uns VW, zumindest im Bezug auf Autos und die Umwelt. Endlich konnten wir schnelle Autos fahren und dabei ein gutes Gewissen haben. Das dieses gute Gewissen auf einer hofrechten Lüge basierte, wollten wir natürlich nicht hören, da war es einfacher die Augen ganz ganz fest zu verschließen und sie erst jetzt durch diesen riesigen Skandal gezwungen mit halb echtem halb gespieltem Entsetzen wieder zu öffnen. Und in sofern kann ich auch die VW Manager ein Stück weit verstehen, die angesichts des ganzen Skandals und der öffentlichen Erschütterung den Kopf schütteln und sich denken: „Warum regen sich alle denn so auf, sie wollten doch belogen werden. Wir haben doch nur ein bisschen Profit daraus gezogen.“

Natürlich sind solche Lügen, von denen es sicher noch zahlreiche andere gibt, nicht die Lösung der Probleme. Nein sie können nur kurzzeitig unser Gewissen rein waschen, bis sie aufgedeckt werden und früher oder später werden sie das, denn es gilt nach wie vor: Lügen haben kurze Beine.


Wenn wir nicht immer wieder auf diese Betrügereien reinfallen und schwerwiegende Probleme dauerhaft lösen wollen, müssen wir uns , und ich weiß es ist leicht das zu fordern und schwer tatsächlich umzusetzen, in Verzicht üben und unsere Privilegien im Angesicht der schwerwiegenden Bedürfnisse von Mensch, Tier und Natur zurückstellen. 

Sonntag, 27. September 2015

Katholische Kirche: Papst Franziskus ist seiner Kirche einen Schritt voraus.

In den letzten Wochen reiste Papst Franziskus durch Amerika und besuchte dabei die beiden Erzfeinde Kuba und USA,  was ihm eine große mediale Aufmerksamkeit und Lob von allen Seiten einbrachte. Vor allem für die Kräfte der linken Mitte, die der katholischen Kirche in der Vergangenheit stets eher kritisch gegenüber gestanden waren, ist der neue Papst, der statt in einer Limousine in einem Fiat 500 durch New York fährt und sich gerne einmal über die menschen- und umweltfeindliche Spielart des Kapitalismus, die zur Zeit weltweit auf dem Vormarsch ist, auslässt, ein Licht am Horizont in der ansonsten so antilinken und elitären Kirche. Franziskus Vorstellung von einer armen Kirche der Armen und die linken Visionen von einer sozialen Gesellschaft ohne Klassenunterschiede ergänzen sich hervorragend. 

Doch gleichzeitig muss sich der Papst auch Kritik gefallen lassen. Zahlreichen Konservativen in der katholischen Kirche, die sich bisher gut mit dem vorherigen Papst Benedikt verstanden, ist der neue Papst einfach zu links. Sie verstehen nicht, wieso er die Zusammenarbeit mit den mächtigen konservativen Eliten, die die katholische Kirche seit dem Mittelalter gepflegt hat und durch die sie groß und mächtig geworden ist, nun zugunsten einer progressiven Kapitalismuskritik aufgibt. Die neue Politik des Papstes bringt sie in eine  Zwickmühle, da sie den Papst zum einen angreifen und kritisieren, zum anderen aber auch das Dogma der katholischen Kirche, nach dem der Papst ein unfehlbares Sprachrohr Gottes ist, anerkennen. 
Nicht in diese Zwickmühle geraten die sogenannten Evangelikalen, erzkonservative Protestanten, die vor allem im Süden und mittleren Westen der USA stark sind. Für sie ist die katholische Kirche sowieso eine linke Organisation, mit der sie möglichst wenig gemeinsam haben wollen.

Doch nicht nur von der rechten Seite kommt Kritik. Manche Reformer bemängeln, dass Franziskus bisher außer großen Worten wenig hervor gebracht habe und sich schwer damit tue, die dringend benötigten Reformen in der katholischen Kirchen anzustoßen. Und in der Familien und Sexualität Politik vertritt Franziskus sowieso eine eher konservative Position, die ihm durchaus von Zeit zu Zeit Kritik aus den Reihen derer, die normalerweise hinter ihm stehen, einbringt. Aber vom Oberhaupt der katholischen Kirche zu erwarten, dass er gleichgeschlechtliche Ehe befürwortet und Frauen ihr Recht auf Abtreibung zugesteht, ist wohl doch etwas zu viel verlangt und wenigstens gibt Franziskus zu, dass es manchmal reichlich komisch erscheint, dass die Kirche, eine Institution, die zum größten Teil aus ledigen alten Männern besteht, Menschen Tipps und Anweisungen zum Thema Familie und Sexualität gibt.  

Das Thema Reformen in der katholischen Kirche ist ein heikles Thema. Die Kirche ist de facto ein Überbleibsel aus dem Mittelalter und ist von ihrer Organisationsstruktur her dem Lehnswesen ähnlich, bei der König beziehungsweise der Papst die Macht über eine einzelne Lehn/ Diözesen an die Adeligen/ Bischöfen vergibt, die dann die Politik in dem ihnen zugewiesenen Bereich bestimmen. Dabei herrscht eine Günstlings und Speichellecker Wirtschaft, in der das Kirchenvolk nicht mitzureden hat. Abhängigkeitsverhältnisse und Rivalitäten werden gepflegt, Netzwerke, Seilschaften und Intrigen gesponnen und unerbittliche Machtkämpfe geführt. 
Die Kirche zu demokratisieren würde bedeuten dieses System zu beenden und die Macht der Bischöfe und Kardinäle, die sich bisher schamlos bereichern konnten, zu beschneiden. Das kann auch ein Papst nicht ohne weiteres tun, wenn er nicht die mafiaähnlichen Strukturen im Vatikan gegen sich aufbringen will, was durchaus gefährlich werden kann.
Dass die Eliten der katholischen Kirche Reformen radikal bekämpfen, kann man am Beispiel einer Runde reformfreudiger Kardinäle sehen, die der Papst Anfang des Jahres einrichtete und die eine neue Position der katholischen Kirche zur Sexualität ausarbeiten sollte. Trotz hoher Erwartungen kam am Ende auf Druck konservativer Kräfte wenig Neues, sondern nur eine Wiederholung alter Phrasen dabei heraus.

Innenpolitisch reiht sich der Papst also in die Reihe der Reformer-Könige ein, vom Volk geliebt vom Adel jedoch bekämpft. Und so bleibt dem Papst nichts anderes übrig als sich mit der weltlichen Politik zu beschäftigen. Der Anteil der Katholiken an der Weltbevölkerung beträgt immerhin gut 17,5 Prozent und so haben die Worte des Papsts immensen Einfluss weltweit. Daher beschränkt sich der Handlungsspielraum des progressiven Papsts aufs vermitteln und Reden halten, was ihm jedoch außergewöhnlich gut gelingt. So ist die Annäherung zwischen den ehemaligen Erzfeinden Kuba und den USA, nicht zuletzt auf die päpstliche Vermittlung zurückzuführen. 


Franziskus macht das Beste aus den beschränkten Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen, aber ein Hexer ist er auch nicht. Und so wird die katholische Kirche am Ende seiner Amtszeit deutlich moderner sein, eine aufgeklärte demokratische Organisation wird aber selbst Franziskus nicht aus seiner Kirche machen können. Er ist seiner Kirche einen Schritt voraus.

Mittwoch, 23. September 2015

Griechenland: Die Wahl bringt neue Hoffnung und schürt alte Ängste.

Die Wahl in Griechenland, die in der deutschen Presse beachtlich wenig Beachtung fand, hat Tsipras und seine Koalition aus Links und Rechtspopulisten bestätigt. Ein unspektakuläres Ende einer unspektakulären Wahl, dass so jedoch keiner erwartet hatte. Die meisten Experten hatten mit einen Kopf an Kopf Rennen zwischen SYRIZA und der konservativen Nea Dimokratia, die Tsipras jedoch mit einem Vorsprung von mehr als 7% souverän hinter sich ließ, gerechnet. Ebenso unvorhergesehen war, dass die ultralinke anti-europäische Abspaltung von SYRIZA, die Volkseinheit, die im Vorfeld der Wahl in manchen Umfragen auf dem dritten Platz lag, an der 3%-Hürde gescheitert ist. Gleichzeitig stieg der Anteil der Nichtwähler auf 45%, sie waren damit die mit Abstand stärkste Kraft im Land.

Das Ergebnis der Wahl zeigt klar und deutlich, dass die Griechen, genau wie ihr Ministerpräsident, eingesehen haben, dass sich tiefgreifende Reformen in ihrem Land, die auch dem schmerzhaften Abbau der zahlreichen sozialen Privilegien, die die Griechen bis her genossen hatten,nicht vermeiden lassen, wenn sie im Euro bleiben wollen. Und das wollen sie. Ansonsten hätte sich die Volkseinheit, die bei der Bekämpfung der Sparauflagen auch einen Austritt aus der Euro-Zone in Kauf genommen hätte, über einen deutlich höheren Stimmenanteil freuen können. Ob sie jedoch einsehen, dass diese Reformen aus wirtschaftlichen Gründen schlicht und einfach nötig sind, wenn sich Griechenland im jetzigen Wirtschaftssystem in der EU wieder erholen soll, oder ob sie weiterhin denken, dass sie den Griechen von Deutschland nur aufgezwungen worden seien und man vor den Deutschen kapitulieren müsste, wenn man sich den Euro erhalten will, geht aus dem Wahlergebnis natürlich nicht hervor.

So oder so, dass Wahl-Ergebnis ist für Europa ein Gewinn. Ging Tsipras als klarer Vertreter der Griechen, die ihre jetzige Art und Weise zu leben und zu wirtschaften erhalten wollen, aus der letzten Wahl im September hervor, so ist er jetzt doch eher ein Kompromiss zwischen den Griechen und den EU-Spitzen. Zum einen sprach er sich, genau wie die Vertreter aller anderen etablierten Parteien, für einen Verbleib in der Euro-Zone aus und garantierte dafür, dass die Reformen nun auch umgesetzt werden würden. In diesem Kontext schwor er die Griechen auf harte Zeiten ein. Gleichzeitig versprach er ihnen im Gegensatz zu seinem konservativen Hauptkonkurrenten aber auch, dass er die Last des Sparpaketes für die Armen zumindest so gut wie möglich abfedern und dafür eher die reicheren Bürger, die bisher weniger unter der Krise zu leiden hatten, belasten wolle. Auch Nachverhandlungen mit den internationalen Geldgebern über einzelne Punkte des Vertrages zum dritten Rettungspaket strebt er an. So etwas hören Gläubiger und Geldgeber, die einen Sieg der Konservativen befürwortet hätten, natürlich nicht gern. Generell sollten sie jedoch zufrieden damit sein, dass Tsipras sich verpflichtet die Reformen durchzuziehen. Aber auch hier steht er unter Druck, denn schon in wenigen Monaten werden die Geldgeber zum ersten mal überprüfen ob er seine Zusagen auch Wirklich erfüllt. Er hat nun also die Pflicht schnell Reformen einzuleiten. Wenn er das tut, so scheint es zumindest so, als wären die Vorraussetzungen für eine Zeit gegeben, in der sich die EU und Griechen auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt haben und nun etwas Ruhe in Griechenland einkehren könnte.

Gleichzeitig offenbaren sich bei der Wahl jedoch auch negative und gar bedrohliche Tendenzen in Griechenland. Es scheint als ob viele Griechen, die im September gegen Reformen gestimmt hatten und von Tsipras Kehrtwende überrascht wurden, von der Demokratie enttäuscht seien. Man kann sich vorstellen, dass sie den Eindruck haben, es wäre egal wen sie wählen, am Ende würden doch die europäischen Geldgeber, die Gläubiger und die von ihnen bestimmte Troika bestimmen, welche Politik in Griechenland gemacht wird. Das würde auf jeden Fall den sprunghaften Anstieg des Anteiles an Nichtwählern in Griechenland um gut 10% erklären. 
Noch konnte von diesem Schub an Demokratieverdrossenheit keine Partei profitieren. Doch mit Chrysi Avi, zu deutsch: Völkischer Bund Goldene Morgenröte, und diversen anderen demokratiefeindlichen rechts wie linksextremen Parteien und Organisationen stehen bereits mehr als genug Nutznießer dieser Entwicklung auf dem Plan.

Man sieht, die Probleme in Griechenland sind mit dieser Wahl nicht gelöst. Und sie könnten sich sogar noch verschärfen, wenn das Land nach dem Auslaufen des neuen Rettungspaketes erneut vor der Zahlungsunfähigkeit steht. Denn es scheint unwahrscheinlich, dass Griechenland in den nächsten Jahren wieder fähig sein wird, seine Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern ohne die Hilfe von den anderen EU-Staaten und dem IWF zu erfüllen. Solange wird wohl auch der Einfluss der Geldgeber auf die griechische Politik erhalten bleiben.

Nichts desto trotz haben die Griechen gezeigt, dass sie dem Konzept Europa vertrauen und bereit sind Reformen über sich ergehen zu lassen. Diese positive Grundhaltung muss von den internationalen Geldgebern gewürdigt werden, beispielsweise durch das Erlassen einiger Schulden. Die Griechen sollten den Eintrug bekommen, dass Europa mit ihnen arbeiten und nicht gegen sie. Sonst könnte diese Stimmung schnell wieder kippen und einer anderen, bedrohlichen Entwicklung Platz machen. Einer Zukunft in der das Konzept Europa und möglicherweise auch die Demokratie keine Rolle mehr spielen.