Donnerstag, 10. September 2015

EU: Junckers Rede ist ein gutes Beispiel für das Manko der EU.

„Unsere Europäische Union ist in keinem guten Zustand.“ Zu diesem Schluss kam der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union, die er gestern am 9.9. 2015 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg hielt. Es fehle an Europa und es fehle an Union in dieser jetzigen EU, fuhr er fort. Im weiteren Verlauf der Rede forderte er mehr Zusammenarbeit in der EU, nicht nur bei der Bewältigung von Krisen, sondern auch im politischen Alltag, und erinnerte an die in der europäischen Geschichte gewachsenen Werte, die die Grundlage der Europäischen Einigung sind. 
Auch wenn man der Person Juncker, dem ehemalige Premier- und Finanzminister der Steueroase Luxemburg, über die sich internationale Unternehmen jahrelang davor gedrückt haben in ihren Heimatstaaten Steuern zu zahlen, durchaus kritisch gegenüberstehen darf, muss man ihm doch zugestehen, dass er mit diesen Äußerungen einen Nerv in der heutigen Politik der EU getroffen hat.
Ob in der Griechenland-Krise oder in der heutigen Flüchtlingsproblematik, stets hatte es den Anschein, dass Entscheidungen in der EU nicht in der Zusammenarbeit der einzelnen Staats und Regierungschefs entstanden, sondern dass sich nach langen Konfrontationen, die oftmals durch schmutzigen Spielchen und Bluffs verschärft wurden, diejenige Partei durchsetzte, die über die meiste unmittelbare Macht, sprich das meiste Geld, verfügte. Der Volkswille ist dabei meist nur Nebensache. 
Man denke nur daran, wie Jean-Claude Präsident der EU Kommission geworden ist. Als Spitzenkandidat der Fraktion der Europäischen Volksparteien auf das Amt, hatte er nach dem Sieg seines Parteien-Bündnis bei der Europawahl 2014 eigentlich ein Recht auf den Posten, zumal er eine Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament hinter sich wusste. Doch vor seinem offiziellen Amtsantritt waren harte Verhandlungen nötig, da ihn einzelne Regierungschefs, ihnen voran der britische Premierminister, ablehnten. Juncker hatte Glück, dass mit Deutschland und Frankreich zwei wichtige Mitgliedsstaaten hinter ihm standen, sonst wäre die Entscheidung der Europäischen Wähler wohl den Interessen einzelner Nationalstaaten geopfert worden.
Auch die Menschenrechte fallen bei der Politik der EU in letzter Zeit oft unter den Tisch. Man erinnere sich daran, wie die Verhandlungsparteien bei der Verhandlungen über das dritte Rettungspaket für Griechenland ohne mit den Augen zu zucken in Kauf nahmen, dass tausende griechische Rentner wochenlang ohne Geldmittel auskommen müssen, oder wie sich einzelne Mitgliedsstaaten nun sträuben hilflose Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen.

Doch wichtig ist auch, worauf Juncker in seiner Rede nicht einging. Die Gründe für all diese Probleme mit denen die EU gerade zu kämpfen muss, erwähnte er nicht, er forderte lediglich eine Bekämpfung der Symptome. Für diese Lücken in System der Europäischen Union, wegen denen der Staatenbund im Augenblick näher vor der Auflösung als vor der Weiterentwicklung zum Bundesstaat steht, ist diese Rede ein gutes Anschauungsstück.
Inspiriert ist sie von der Rede der Lage der Nation in den USA, bei der der US-Präsident, der mächtigste Mann der USA und je nach Blickwinkel auch der Welt, offen und ehrlich vor seinem Volk Fazit aus den Ereignissen des letzten Jahres zieht, die Auswirkungen seiner Entscheidung analysiert und seine Lösungsansätze für aktuelle Probleme präsentiert. Im Vergleich dazu ist sie jedoch die Rede eines de facto machtlosen Mannes vor einem de facto machtlosen Parlament. Juncker kann in seiner Rede Fazite ziehen, Ereignisse und Folgen von Entscheidungen analysieren, aber das Entscheidende kann er nicht. Er kann keine Versprechungen machen, keine konkreten Pläne vorstellen, keine Lösungsansätze präsentieren, höchstens kann er etwas von denen, die in Wirklichkeit die Entscheidungen treffen, fordern. Von den Regierungschefs der einzelnen Mitgliedsstaaten.

Das ist sinnbildlich für das große Manko der EU: Nicht eine demokratisch gewählte, gesamteuropäische Zentralregierung, die sowohl das Wohl der Institution EU als auch die Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten  im Blick hat, trifft die wichtigen Entscheidungen, nein, die einzelnen Regierungschefs, die nur von den Interessen ihrer Heimatstaaten gelenkt werden und die scheinbar bereit sind die Europäische Einigung ihrer Wiederwahl zu opfern, haben die Macht in der EU. 



Wenn sich daran in naher Zukunft nichts ändert, kann es gut sein, dass Juncker oder sein Nachfolger bald die Totenrede der EU hält.

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